Gruss des Regens zum Frühjahrsemester 2023

By Seminar St. Beat,

Die Melodie des Lebens 

Wer kennt sie nicht, die Trompete spielenden, Violine streichenden oder Orgel spielenden Engel, wie sie in der Kunst oft abgebildet werden. Über der ehemaligen Klosterkirche Muri thront sogar als Abschluss des Dachreiters ein eindrücklicher, die Posaune blasender Engel.

Warum wird in der christlichen Kunst, in der Liturgie und eben sogar auf kirchlichen Gebäuden immer wieder das Musizieren zum Thema? Nun, bereits in der Bibel finden sich immer wieder Hinweise auf diese menschliche Kunst (vgl. Ps 150) wenn es um Gebet und das Lob Gottes geht. Offensichtlich ist Musik ein Wegöffner zur göttlichen Welt. Denn – so das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung – sogar im Himmel wird musiziert.

Im diesjährigen Programm der Studienbegleitung ist zum ersten Mal ein Abend mit der speziellen Thematik der Musik in der Liturgie aufgeführt. Es ist mir aufgefallen, wie schwer sich manche unserer Studenten/innen mit dem Singen und Musizieren tun. Natürlich müssen nicht alle Opernsänger/innen sein, um Musik, beispielsweise in der Liturgie, mit Gewinn einzusetzen, aber die Freude an der Musik und das Wissen um die beseelende Wirkung von Musik und Gesang, sollte doch auch eine Frucht der Ausbildung zum kirchlichen Dienst sein.

Vielleicht sind wir in unserer Welt heute, in der wir dauernd mit irgendwelchen Musikprodukten berieselt werden, abgestumpft geworden für die Wahrnehmung der «Seelenöffnenden» Wirkung von guter Musik. Weil irgendwelche Professionelle uns zu jeder Zeit «perfekte» Musik vorspielen, getrauen wir uns kaum mehr, selbst den Mund zu öffnen, Saiten und Tasten zu bewegen, um der Musik in unserem eigenen Leben Raum zu geben. Spielen da vielleicht plötzlich andere die Melodie unserer Lebensträume?

Nun sind wir doch gerade im Gottesdienst berufen, unser Leben mit unseren Gefühlen, Ängsten und Sorgen aber auch Freude und Jubel vor Gott zu äusseren. Wie kann man das besser tun als mit Musik? Natürlich gehört das entsprechende gesprochene Wort dazu, aber so tief, wie die Musik, treffen Worte die Herzen nicht oft. Musik ist behilflich, ein Vehikel, um die frohe Botschaft in den Herzen zu verankern. Wenn wir nicht wollen, dass andere mit «ihrer» Musik die Musik unseres eigenen Lebens übertönen, dann müssen wir das Musizieren wieder selbst in die Hände nehmen. Das heisst nicht, dass wir z.B. unseren Kirchenmusikern nicht dankbar sein sollen, aber wir selber müssen die Musik unseres eigenen Lebens spielen, sonst geht unsere ureigene Lebensmelodie unter, und die äussere Musik wird zu einem langweiligen Grauton, der die Leere unserer Existenz überdeckt.

Warum nicht einfach wieder einmal mit einem befreienden Jauchzer bei einem Spaziergang im Wald oder sonst wo unserer Seele Luft verschaffen, warum nicht wieder einmal mit einem «Lumpenliädli» zu zweit oder zu dritt für Erheiterung sorgen, oder in einer Kapelle auch ein ernstes Lied für sich anstimmen – auch wenn es meinetwegen schräg tönt – es ist besser schräg zu singen, als gar nie – und, Augustinus sagt m.E. zurecht: «Qui cantat bis orat» – wer singt, betet zweimal!», nämlich mit Leib und Seele.

Ich freu mich darauf, mit Ihnen im kommenden Semester zu musizieren – der Melodie unseres persönlichen Lebens eine eigene Stimme zu geben. Freuen wir uns auch, dass wir unter uns solche haben, die schon Musik «machen» und solche, die uns dabei begleiten. Ich freue mich auf ein musikalisches Semester mit Ihnen, in dem die Melodie unseres Lebens erklingen kann.

Agnell Rickenmann, Regens

Bild Agnell Rickenmann: Chororgel in der Klosterkirche Wettingen