Bibel und darstellende Kunst
Die Bibel bietet viele Inspirationen für die Kunst. Um Bilder zu entschlüsseln und ihre sprachlose Ausdrucksweise zu interpretieren, helfen Kenntnisse aus der Kunstgeschichte und der bildnerischen Mittel.
Gemeinsam und in Kleingruppen haben wir bei den Synoptikern die Bibelstellen zur Kreuzabnahme Jesu gelesen und zu sechs Bildern zwischen 980 und 1915 in Beziehung gesetzt. Jede Epoche, jede Zeit, jede Strömung hat andere Bildmittel. Künstler inspirieren sich auch gegenseitig und lernen voneinander.
Ob ein Bild existentielle Zumutung ist oder eine neue Glaubensdimension eröffnet, hängt wesentlich an zwei Faktoren: Lasse ich mich auf das Bild ein, unabhängig davon, ob es sich mir sofort erschliesst und ob es mir gefällt und kann ich ausgewählte Gesichtspunkte analytisch für die Bildbetrachtung anwenden.
Das methodische Vorgehen in diesen Schritten hat uns geholfen:
- Spontane Wahrnehmung: Was sehe ich?
Stilles Abtasten und Lesen des Bildes: spontane, unzensierte Äusserungen. Im Bild spazieren gehen. Hier und dort verweilen mit ungelenkter Aufmerksamkeit
- Analyse der Formensprache: Wie ist das Bild gebaut?
Systematische Wahrnehmung und Benennung der Elemente des Bildes, seine Formen, eine Farben, Struktur und Rhythmus, einzelne Teile und der Zusammenhang des ganzen sichtbaren Formbestandes. Bewusstmachung der Bildordnung. Volle Aussenkonzentration.
- Innenkonzentration: Was löst das Bild in mir aus?
Gefühle und Assoziationen. Auf welche Gestimmtheit zielt das Bild selbst? An was erinnert es mich? Anziehend oder abstossend?
- Analyse des Bildgehalts: Was hat das Bild zu bedeuten?
Sein Bezug zum Text der Bibel oder zu sonstigen Quellen. Sein Standort innerhalb der christlichen Ikonografie. Seine Innovationen, Verstärkungen der Traditionen – individuelle oder epochale, die sich im Bild niederschlagen. Gehalt, den das Bild dem Thema verleiht.
- Identifizierung mit dem Bild: Wo bin ich im Bild?
Sich in das Bild hineinziehen, in die Geschichte verwickeln lassen. In welcher Figur finde ich mich am ehesten? Wie behandelt das Bild mich als Betrachter/in? Was erwartet es von mir? Bewirkt es Einverständnis oder Irritation? Oder kann es mich unmerklich verwandeln? Zieht es mich in seinen Bann? Überlasse ich mich ihm oder sträube ich mich? Bin ich ihm gewachsen oder überfordert es mich?
Und meine pädagogische und didaktische Sicht: Die persönliche Bildmeditation kann den Schwerpunkt auf die Punkte 1 und 5 richten. Der Einsatz in Predigt, Unterricht, Glaubensvermittlung verlangt wesentlich nach den Punkten 2, 3 und 4. In der Vorbereitung scheint mir die Verbalisierung des Geschauten wichtig. Die kirchen-, kunst- und bibelhistorischen Bezüge erschliessen weitere Gesichtspunkte.
Text und Bild: Sr. Beatice Kohler, Spiritualin
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